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Löffler, M. S., Preiser C., Keller, R. (2021). Zwischen Problematisierung und Normalisierung. Emotion und Moral im Gesetzgebungsprozess der Neu/Regulierung von Prostitution in Deutschland. In: Zeitschrift für Diskursforschung, Jg. 9, H. 1, 2021, S. 77-102.

In dem Beitrag untersuchen wir im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses des Prostituiertenschutzgesetzes die in Anschlag gebrachten Wissenspolitiken der Diskursakteur:innen. Wir arbeiten heraus, inwiefern die Wissenspolitiken mit Emotionen verknüpft werden, wie das Problematische an Prostitution hergestellt wird und welche moralischen Positionierungen sich hierin vermitteln. Unsere Analyse wird zeigen, dass ent/emotionalisierende Wissenspolitiken nicht an spezifische moralische Positionen der Diskursakteur:innen gekoppelt sind. Vielmehr stehen die Wissenspolitiken als problematisierende oder normalisierende Diskusarbeit im Zusammenhang zu antizipierten hegemonialen Problemdeutungen von Prostitution und werden dementsprechend von den Diskursakteur:innen eingesetzt. Damit zeigt unser Beitrag, inwiefern Wissenspolitiken zu hegemonialen Problemdeutungen von Prostitution relational aufeinander bezogen werden.

Dreßler, Arne. „Affektive Wertdurchsetzung: Emotionssoziologische Perspektiven auf die Verwicklung von Prostitution mit Moral“, in: Zeitschrift für Diskursforschung, Jg. 9, H. 1, 2021, S. 103–122.

Trotz konzeptueller Gängigkeit mangelt es in der Soziologie sozialer Probleme an moralsoziologischer Aufklärung über Moralunternehmertum. Auf dispositiv- bzw. diskursethnographischer Grundlage analysiert der Beitrag, wie eine Informationsveranstaltung zum ›Nordischen Modell‹ der Prostitutionspolitik die Kriminalisierung der Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen mit moralischer Wahrheit ausstattet. Während ausdrückliche Werturteile und die ethische Argumentation randständig bleiben, wird moralische Abwertung zwar durchgängig, aber nur indirekt betrieben. Als entscheidende Diskursstrategie fungiert Emotionalisieren, das über Affektreizung leibbasiert auf moralische Schocks zielt.

Schönnagel, Holger (2016): Geteilte Gemeinschaft und mann-männliche Prostitution. Eine ethnografische Studie im Kontext einer Gaststätte, Wiesbaden.

Die vorliegende ethnografische Studie zur mann-männlichen Prostitution beschreibt Interaktionen und Sichtweisen von Männern im Gaststätten-Kontext und entwickelt daraus Impulse für die Soziale Arbeit in diesem Feld. Es wird vor dem historischen Hintergrund der Verfolgung deutlich, dass die Männer trotz ihrer unterschiedlichen Lebenssituationen oftmals gemeinschaftliche Aspekte verbinden und damit mehr als nur sexuelles Interesse oder der Erwerb materieller Vorteile. Ihre Interaktionen werden in der Studie kategorisiert, es entsteht ein dichtes, sensibles und vielschichtiges Bild des Handelns der jüngeren und älteren Männer dieser Szene, ihrer Gedanken zur Prostitution und ihrer Gefühle füreinander.

König, Malte: Der Staat als Zuhälter: Die Abschaffung der reglementierten Prostitution in Deutschland, Frankreich und Italien im 20. Jahrhundert, Berlin/Boston 2016.

Bis ins 20. Jahrhundert gab es in Europa Bordelle, in denen Prostitution staatlich toleriert und kontrolliert wurde. Die Studie untersucht, welche Argumente und Faktoren in den Parlamenten Deutschlands, Frankreichs und Italiens den Ausschlag gaben, um dieses System abzuschaffen.

Historisch relevant ist eine Untersuchung dieser Gesetzesdebatten, da in ihnen ein Mentalitätswandel sichtbar wird. Neben hygienischen, moralischen und menschenrechtlichen standen sozial-, außen- und sicherheitspolitische Aspekte zur Diskussion. Nicht allein die Hierarchie zwischen den Geschlechtern wurde hinterfragt, sondern auch die innerhalb der Klassengesellschaft. Dass das Thema so delikat ist, erweist sich dabei als Vorteil; die parlamentarischen Debatten förderten Argumente und Denkweisen zutage, die sonst nicht ausgesprochen wurden, geschweige denn protokolliert.

Methodische Relevanz kommt der Studie zu, weil über den Sinn transnationaler und vergleichender Geschichtsschreibung zwar viel theoretisch reflektiert wurde, es aber an sachgerecht abgegrenzten, quellengestützten empirischen Studien weiterhin mangelt. König leistet dem Abhilfe, indem er demonstriert, wie weit der historische Vergleich tragen kann, wenn er konsequent durchgeführt wird.

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Abstrakt
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Das deutsche Strafrecht unterscheidet Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Unsere Untersuchungen zeigen, dass das soziale Objekt „Opfer von Menschenhandel“ trotz geschlechtsneutraler Gesetzgebung in popkulturellen Narrativen aber auch in Praktiken der Rechtsprechung stark vergeschlechtlicht ist. An die Zeuginnen bzw. Zeugen werden geschlechtlich codierte Erwartungen herangetragen. Dies ist nicht einfach in einem Sexismus der RichterInnen begründet, sondern ein struktureller Effekt der Logik von Rechtsprechung und institutioneller Pfadabhängigkeiten. So werden Standardnarrative zum weiblichen, unschuldigen Opfer sexueller Ausbeutung in der Prostitution zum Deutungshorizont in Gerichtsverfahren, an dem die realen Personen, die als Geschädigte aussagen, gemessen werden. Zur Arbeitsausbeutung fehlen dagegen verfestigte Narrative, und die Unterstützung von Betroffenen ist weit weniger institutionell verankert. Fälle von Arbeitsausbeutung werden deutlich seltener angeklagt, und die Betroffenen erscheinen vorrangig als ökonomische Subjekte und häufiger als Mitschuldige. In beiden Fällen resultiert dies in einem Verschwinden von Opfern: Im einen Fall aufgrund der Überdeterminierung, im anderen Fall aufgrund von Unterbestimmung.
Euchner, Eva-Maria. “Prostitutionsregulierung.” In Moralpolitik in Deutschland, edited by Christoph Knill, Stephan Heichel, Caroline Preidel, and Kerstin Nebel, 107–26. Springer Fachmedien Wiesbaden, 2015. http://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-05128-0_6.

Zusammenfassung

Im Vergleich zu anderen Moralpolitiken zeichnet sich die deutsche Prostitutionsregulierung durch eine hohe Entscheidungsfähigkeit aus. Die Prostitutionsreform von 2002 katapultierte Deutschland an die Spitze der liberalen Staaten in Europa. Das Angebot von sexuellen Dienstleistungen ist nicht mehr sittenwidrig; Prostituierte können ihren Lohn einklagen und sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse eingehen. Bei näherer Betrachtung des deutschen Reformweges kristallisieren sich zwei zentrale Faktoren heraus: Zum einen ermöglichte das geschickte Auflösen von Entscheidungsblockaden innerhalb der rot-grünen Regierungskoalition sowie das Aushebeln der Vetomacht des Bundesrates eine umfassende Reform. Zum anderen gelang es der Partei Bündnis 90/Die Grünen in Zusammenarbeit mit Prostituiertenprojekten, die Problemdefinition zu beeinflussen und somit den Weg für ein liberales Regulierungsregime zu ebnen. Die hohe Entscheidungsfähigkeit bedingte jedoch Defizite bei der Implementation der Reform.

Prestel, Joseph Ben. “Gefühle in der Friedrichstraße. Eine emotionshistorische Perspektive auf die Produktion eines Stadtraums, ca. 1870-1910.” sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 3, no. 2 (2015): 23–42.

Abstract

Dieser Aufsatz untersucht den Zusammenhang zwischen dem Entstehen eines Vergnügungsviertels in der Gegend der Berliner Friedrichstraße und bestimmten Subjektvorstellungen zwischen 1870 und 1910 aus einer emotionshistorischen Perspektive. Er zeigt, wie am Ende des 19. Jahrhunderts das Gehen in der Gegend der Friedrichstraße mit ganz widersprüchlichen Gefühlen beschrieben und dabei von Zeitgenoss_innen mit Vorstellungen von gereizten Großstadtmenschen verbunden wurde. Der Autor argumentiert, dass gerade in der Betonung des konfliktreichen Zusammenspiels von neuem Stadtraum und Subjektformen ein Vorteil der Emotionsgeschichte gegenüber anderen Ansätzen liegt, die riskieren, zeitgenössische Vorstellung von Gefühlen, Subjektivität und räumlicher Homogenität fortzuschreiben.

Volltext:

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Leicht bekleidete Frauen an Straßenecken, Rotlicht, Gewalt und Ausbeutung – diese und ähnliche Bilder gehen momentan immer wieder zum Thema Sexarbeit oder Prostitution durch die Medien. In dieser Arbeit analysiert die Autorin die Problematik einer einseitigen Darstellung im Kontext der moralischen Dimensionen des Diskurses um Sexarbeit. Ziel ist es, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Sexarbeit anzuregen und abseits von Stereotypisierungen die Komplexität der Lebens- und Arbeitssituationen von Sexarbeiterinnen in Deutschland aufzuzeigen.
Aufbauend auf einer empirisch-ethnographischen Forschung in Berlin veranschaulicht die Autorin dabei anhand der Erfahrungswerte von Sexarbeiterinnen, wie sich der moralisierte Diskurs und die damit zusammenhängende Stigmatisierung von Sexarbeit auf den Lebens- und Arbeitsalltag von Sexarbeiterinnen auswirken.
Einen besonderen Schwerpunkt legt die Autorin dabei auf die Beurteilung von Beratungsangeboten aus der Sicht von Sexarbeiterinnen und zeigt in der Kritik von Sexarbeiterinnen an Beratung den weitreichende Einfluss dieses Diskurses auf, der Sexarbeit ausschließlich als gesellschaftliches Problem begreift und Sexarbeiterinnen die Rolle von passiven Opfern zuweist.
Obwohl Sexarbeit und die damit assoziierten Probleme eng mit Fragen um sexuelle Selbstbestimmung, Arbeitsrechte und Migration verbunden sind, wird in gesellschaftlichen Debatten ein einseitiges Bild der vielseitigen Sexindustrie gezeigt, das anhand von moralischen Vorurteilen und Stereotypen Sexarbeit als problembehaftetes gesellschaftliches Randphänomen darstellt.
Aufbauend auf Ihrer Forschung in Berlin zeigt die Autorin dem entgegen die Vielschichtigkeit und Komplexität der Sexindustrie in Deutschland auf. Anhand der Erzählungen von Sexarbeiterinnen veranschaulicht sie verschiedene Facetten des Lebens- und Arbeitsalltags in der Sexindustrie und verdeutlicht dabei, dass auch der moralisierte Diskurs um Sexarbeit und die damit zusammenhängende Stigmatisierung der Tätigkeit die Handlungsmöglichkeiten von Sexarbeiterinnen wesentlich beeinflussen können.
Ein Schwerpunkt der Analyse liegt dabei auf der Auseinandersetzung mit Beratungsangeboten für Sexarbeiterinnen, im Rahmen derer die Autorin der Frage nachgeht, wie Bedarfslagen von Sexarbeiterinnen bestimmt und definiert werden. Auch dabei bezieht sie die Perspektiven von Sexarbeiterinnen auf bestehende Beratungsangebote ein. In der Kritik von Sexarbeiterinnen an Beratungsangeboten wird die Problematik dieses Diskurses deutlich, der Sexarbeit ausschließlich als gesellschaftliches Problem begreift und Sexarbeiterinnen hauptsächlich die Rolle von passiven Opfern zuweist.
Blogbeitrag von Ursula Probst „Stigma, Moral und Zwangsmaßnahmen – Gesundheitsversorgung für Sexarbeiterinnen?“ auf medizinethnologie.net

Grenz, Sabine: Rituelle Dimensionen kommerzieller Sexualität, in:R. Gugutzer, M. Staack (Hrsg.), Körper und Ritual, S. 289-310. 

Sabine Grenz Zusammenfassung In dem Artikel werden Prostitutionsbesuche als Rituale betrachtet. Dies bietet sich an, da Prostitution mit Tabus behaft et ist und daher soziale Grenzen überschritten werden müssen. Auf der Grundlage einer eigenen Studie über heterosexuelle männliche Freier kann geschlussfolgert werden, dass Männer Sex-Arbeiterinnen aufsuchen, wenn sie in Krisen stecken oder Vertragsabschlüsse feiern; auch erleben manche Männer ihr erstes Mal Sex mit Sex-Arbeiterinnen. All diese Momente können als Rituale interpretiert werden, die die Reproduktion normativer heterosexueller Männlichkeit – sowohl als sexuelles Kapital wie als homosoziale Verbünde – beinhalten. Schließlich lässt sich auch eine Ritualstruktur auf Prostitutionsbesuche übertragen, insofern eine Vorbereitungs-, liminale und Angliederungsphase deutlich erkennbar sind. Die Ritualstruktur zeigt, wie der Prostitutionsbesuch einerseits in den Alltag integriert ist, andererseits aber auch etwas Besonderes und Herausgehobenes markiert. In beiderlei Hinsicht geht es um die Reproduktion normativer Männlichkeit.